Ich war mit in Santa Monica

Ich war in „Santa Monica“ von Akin E. Sipal. Inszeniert von Tarik Goetzke. Absolut neu für mich: Im Dezember war ich als Bürgerbühnler zu einer Autorenlesung des Stücks eingeladen, im Schwesterklub. Ich berichtete.
Zitat:

Und wie er las. Atemberaubend, nur mit 5 Minuten Unterbrechung, das ganze Stück. Als wäre es lyrische Prosa. Über eine Stunde und keine Sekunde war langweilig. Ich war schon in vielen Lesungen, aber derart spannend, intensiv, mitreißend und doch distanziert, als ob er seinen Worten nicht ganz trauen würde, so frisch verliebt in sie, habe ich schon lange nichts mehr von einem Autor gehört, vielleicht nur Raoul Schrott bei lesen.hören, vor Jahren.
Ich will vor der Premiere nicht viel zu dem Stück selbst sagen. Es muss erst auf die Bühne, dort wirken, beweisen, dass dieses Wortkaskaden mit den teuflisch guten Bildern, der fast schnoddrigen Sprache, die doch Schmerz beschreibt, Theater ergibt. Ich bin höllisch gespannt darauf, was da im März 2015 auf die Bühne kommt.

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Und es war großes Theater! Der Drive dieser elementaren Sprache wurde fulminant umgesetzt, auch wenn ich mir manchmal noch mehr Zeit zum Atmen gewünscht hätte. Gerade die beiden Brüder spielten mit den Bildern, den Sprachattacken, beschwerten sich über die Vernachlässigung der angstbesessenen Alten. David Müller schaffte es als älterer Bruder sogar einen als Zitat kenntlichen medizinischen Wikipedia-Artikel in der Atemlosigkeit der lyrischen Prosa zu transformieren.

Julius Forster als kleiner Bruder, verspielt und doch in dem eigenen Unbehagen gefangen, das langsam in eine maßlose Einsamkeit wächst. Mutter Ragna Pitoll gibt die coole Mutter, die dann doch Eimer voller Tränen weint. Zurückhaltend aufgedreht, auch sie dem Sprachrhythmus folgend, wenn auch in eigener Interpretation, was dem Stück gut tat. Nur Thorsten Danner als Vater hatte öfter Mühe die lyrische Prosa durchzuhalten, verhaspelte sich, wirkte schwächer.
Den Schluss stellte Tarik an den Anfang. Gut so, das nahm dem Stück die Spannung über den Ausgang. Die Heilung als Beginn, die Konzentration auf den langsamen Ausbruch des Schreckens zuließ, der Versuch das unsägliche in Worte zu fassen. Aber ich hätte das gekürzt. Die Restaurantszene wirkte schon bei der Lesung aufgesetzt. Die Szene mit der Flinte und dem Fernrohr und dem Jobangebot hätte genügt. Das Video hätte man sich dann auch sparen können. Und ja. Wenn eine Figur, wie die Mutter als ausgebildete Opernsängerin beschrieben wird, dann müsste sie auch als solche singen. Überhaupt. Ich liebe Musik im Schauspiel, siehe hier, aber Peter Gabriels „My body is a cage“ fällt gegen Sipals lyrischer Prosa doch so sehr ab, das kam als Kitsch an, schlechter Kitsch, auch wenn es der kleine Bruder gut interpretierte.

Aber all diese kleinen Kritikpunkte schmälerten das große Ganze überhaupt nicht. Ich wünsche dem Stück noch viele Vorstellungen, gerne auch in anderen Häusern, Suhrkamp könnte da vielleicht etwas nachhelfen, statt zu prozessen? Überhaupt, warum kann man das Stück nicht gedruckt kaufen? Noch nicht einmal bei den Kraken im Netz?

Das sind genau solche Stücke, wie ich sie mag. Keine aufgedonnerten Klassiker in der drölfsten Variation, so gut sie auch gemacht sind.
Und, off topic: Was sehr auffiel: Schauspieler mit türkischen Wurzeln hätten gut getan. Hat das Ensemble nicht. In einer Stadt mit einem Anteil an Bürgern mit Migrationshintergrund von 39,4 %. Ich war Flyer verteilen, für das 2. Bürgerbühnenfestival, speziell für das Stück „Lücke“, auf der Dönermeile in Mannheims G & F Quadraten, bis hin zur Synagoge und ich hatte den Eindruck, dass sich inzwischen die Kultureinrichtungen ein riesiges Potenzial entgehen lassen. Es herrschte reges Interesse. Doch. Das Ballett ist doch auch international besetzt und gibt es nicht jede Menge italienischer Opern mit deutschen Übertiteln. Russische neue Stücke, jenseits von Tschechow, junges türkisches Theater in Originalsprache? Ich mein’ ja nur. Der Sturm und Drang ist doch schon sehr klassisch geworden.