Was ist das denn, die lyrische Prosa?

Es mag am Wetter liegen, an der Konstellation des Euro zum Mars oder weil heute Morgen die Strassenbahn pünktlich war, sei es wie es sei, es hat mich gepackt. Immer wieder werde ich gefragt, was denn das sei, lyrische Prosa, steht doch auf Deiner Homepage, erklärten Sie zu Ihrem Text bei der Lesung.
Dann wünschte ich mir immer, ich wäre Shakespeare und würde Sonette schreiben. Da gibt es klare Regeln an Versmaß, Zeilenzahl, Versform, Reimarten und was weiß ich alles. Der geneigte Leser kann diese Regeln überprüfen und so feststellen, ob der Inhalt mit der Form übereinstimmt, diese Prüfung in seine Wertung übernehmen und wenn es nur unbewusst wäre. Nur widerwillig akzeptiert nun ein breites Publikum „Gedichte“ ohne solches Regelwerk. Texte, die nur einer losen inneren Struktur folgen, einem Rhythmus, den nur der Autor festzulegen scheint, wo bereits kaum noch „die Kunst“ als handwerkliches Kriterium bewertbar scheint. Dann komme ich und erzähle auch noch etwas von lyrischer Prosa, Prosagedicht oder ähnlichem. Selbst der Heilige Google findet wenig darüber, definitives. Also will ich es versuchen.
Nein, nein, ich will keinem Aristoteles, Lessing, Opitz oder Klopstock nacheifern und eine Poetik schreiben, nichts liegt mir ferner. Aber erklären sollte man seinen Text schon können, nicht müssen, bemerkte Hans-Ludwig zu Recht nach der letzte Lesung. Ich will diese Definition auch nicht für andere bindend betrachten, sondern nur „meine Form“ erläutern. Also wage ich mich „nicht-wissenschaftlich“ an die Sache, auch nicht aus der Warte des Lesers, sondern des Autors, von meiner urpersönlichen Warte aus.

Sehr oft, eigentlich fast immer, wenn ich nicht wie hier an einem „Sachthema“ arbeite oder eine größere Geschichte; gar Theater schreibe, bin ich zunächst auf der „Schreibebene“ leer. Ich bin gelaufen, habe meditiert oder mich sonst wie bereit gemacht. Ich öffne mich meinen Gefühlen und warte auf Worte. Meist kommt erst ein Wort, das ziellos durch die Gehirngänge kriecht und weitere sucht, Bilder findet, Stimmungen anstößt, Erinnerungen ruft, Assoziationen spinnt bis Satzbrocken kulminieren und der wache Verstand nun zu spielen beginnt, dort etwas hinzufügt, meistens streicht, versucht das Gefundene auf den Punkt zu bringen, zu „verdichten“ um so zu einer möglichst „gewaltigen“ Aussage zu kommen. Das nenne ich dann Lyrik, was zum Schluss auf dem Papier steht. Es gibt aber auch Tage, wo die Worte nur so prasseln, sich nicht streichen lassen, immer neue Verdichtungen sich aneinander fügen wollen, die Bilder sich wie Wolken türmen, weiterziehen um noch mehr Bildern Platz zu machen. Wenn sich die Worte wie von selbst zu kühnen Konstruktionen jagen, ja dann ist Essig mit der Kurzform, die Worte gießen sich eine eigene Form. Es ist ihnen wie immer egal, wie ich das denn verkaufen soll, spotten über die Schubladen, die wir doch so nötig brauchen, für unser armes Gehirn. Zumeist sind es Fragmente, willkürliche Abrisse aus großen Geschichten, wie unser Leben auch verläuft, die Aneinanderreihung von Abläufen, wo alles seine Zeit hat.

Also wäre die lyrische Prosa die Aneinanderreihung von Verdichtungen in vielen Bildern und „atemberaubenden“ Sätzen. Die Dichte von der Lyrik und die Form von der Prosa. Ganz gewöhnliche Sätze, hintereinander geschrieben, zumeist noch nicht einmal in Absätze gegliedert, Strophen und Zeilenlos und doch mit einem „lyrischen“ inneren Rhythmus, der sich trotz des Aufenthaltes in blitzenden Bildern dem Ende zujagt, joggt, walkt, tanzt, schleicht, ganz wie der Inhalt es will. „Die Inhalte bestimmen die Form“ und nicht umgekehrt ist das bei diesem Genre .

Es ist nicht das einzige, das ich liebe, aber ich liebe es AUCH.