Warum sollte irgendwer Lyrik lesen ?

Ich frage mich, was treibt Leute Lyrik zu lesen, oder besser, warum sollten sie denn ? Ich schreibe, also lese Ich. Aber sonst ? Warum sollte jemand Lyrik lesen?

Die Frage verunsichert mich. Ich könnte mich jetzt in höhere Sphären begeben, zu denen mir doch niemand folgt, am allerwenigsten ich selbst. Nein so ganz irdisch, warum soll jemand Lyrik lesen, es muss ja nicht meine sein. Es gibt ja genug andere, bessere ?

Die Erstbegegnung mit Lyrik ist heute auf die schulische Ebene beschränkt, wenn überhaupt und dort kommt es sooo auf den Lehrer an, dass ein Großteil der Schüler eher abgeschreckt wird. Die paar Zeilen auswendig gelernter Verse bilden nur einen äußerst rudimentären Zugang zur Welt der Poesie ( auswendig lernen ist nichts schlechtes, um mich nicht misszuverstehen, nur kein Zugang zur Welt der Poesie ). Genau zur gleichen Zeit setzt paradoxerweise ein anderes Phänomen ein : Die Hormone treiben und die Major Companies der Musikbranche schlagen zu. Gesungene Lyrik ( ja, das ist sie, auch wenns den Damenherren “ernsthaften” Lyriker nicht passt ) nimmt einen großen Teil der Gefühlswelt der Jugendlichen ein. Die Barden singen immer noch. Ungehemmt. Ohne Hemmung. Und die armen Lyriker träumen von auflagen > 1000, da lacht Elton John doch. Warum hört jemand einen Song von Rod Steward oder Chris de Burgh ? Genau. Aus dem gleichen fast nicht zu artikulierenden Grund sollte man Lyrik lesen.

Um sich emotional auf etwas einzulassen, auf die Gedanken und vorallem die Gefühle anderer, sich zu stimulieren, selbst Gedanken zu spinnen, einen Teil seines Menschseins neu deuten zu können, kann Lyrik fast noch besser denn die “singenden” Barden. Im allgemeinen ist heutige Lyrik, so wie ich sie mag, sehr kompakt, sehr verdichtet. Keine Weltdeutung mehr. Eher Andeutungen. Zum Weiterdenken. Nichts passt in unsere Welt der Schnelligkeit mehr als diese Kurzformen der Poesie. Kurz, prägnant, mit Dauereffekt ausgestattet. Sie lassen die Seele fliegen. Auch in düstere Tiefen, wenns denn sein muss.

Darum sollte man Lyrik lesen. Es hilft fliegen, in Dimensionen des Menschseins jenseits des Kommerz und anderer schlecht zu verarbeitender Dinge.

Wer sich auf Lyrik einlässt gewinnt seinem Menschseins eine weiter Seite ab. Fügt eine Facette hinzu. Kurz, knapp, ( im Gegensatz zu anderen Genres ) angedeutet, Geheimnisse nicht lüftend, sondern in Gedankengänge bringend. Darum lese auf alle fälle ICH welche. Kann ich nur weiter empfehlen.

Keineswegs, weil ich welche schreibe. Das ist denn dann eine andere Geschichte, sprach dieser….

Was ist Lyrik?

Das definiere ich für mich wie folgt. Wie gesagt das gilt zunächst nur für MICH. Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Definition für MICH als Autor.

Lyrik ist das „virtuelle fotografieren” von Empfindungen, Gedankengängen, Gefühlen, Wertungen, Gewichtungen, Aushebelungen, Neuordnungen, im Gehirn zu Worten „weiterverarbeitet” und verdichtet, von Ballast befreit, komprimiert ( = verdichtet ) zu „Wortverbindungen”, nachfolgend Gedichte genannt.

Die Form ergibt sich aus der Verarbeitung, zeigt den Fluss der Gedanken, folgt deren Rythmen. Der Inhalt diktiert die Form. Die Aussage dominiert alles. Der Grad der Verdichtung richtet sich ausschließlich am Inhalt aus. Eine statistisch-statische Verarbeitung erfolgt nur im Unterbewussten. Konstruktionen lehne ich für mich ab. Nachbearbeitungen nur in Zeitnähe.

Lyrik lebt von Bildern, gibt Tiefe wieder, regt zu Tiefe an. Je tiefer die „Gänge” sind, desto „lyrischer” die Lyrik, wobei Tiefe nicht Unverständnis implementiert, sozusagen Ungüte der Lyrik darstellt. Nicht treudeutsche „Bierernsthaftigkeit” ist gemeint, nein, Verständnisstiefe, eindringen in die Sache, die Dinge, die Welten. Und wenn Lachen angesagt ist, oder Zynik, dann ist es so, auch in der Form.

Die Formen der Lyrik sind so vielfältig, wie ihre Protagonisten, so vielfältig wie ihre Leser oder noch besser Leser / Hörer.

Lyrik ist gut, wenn Leser/in sich im Gedicht wiederfindet, die Gedankentiefe spürt und sich auf den Wellen der Verdichtung zu eigenen Gedankengängen, Empfindungen, Gefühlen „genötigt” fühlt.

Ich staune über die Meister der starren Formen, bewundere sie, achte sie. Ich vermag mich der Fron der starren Form allerdings nicht zu beugen. Das muss ich zu oft. Mich der starren form beugen. Mich anpassen, dem Zeitgeist frönen, einordnen, im Rhythmus unserer Sekundengeschichte mitpendeln, einordnen.

Wenn ich schreibe, will ich frei sein. Nur meinen Gedankengängen folgen, mein Inneres aushorchen, die Dummheiten der Welt wiederkäuen und ausspucken, wenn es geht, befreit lachen, am liebsten über mich und meine Schreiberei.

Ich habe Probleme mit Worten wie Kunst, Lyrik, Literatur. Das sind Schubladen, große Worte, oft aufgeblasen, aufgebauscht, unverdichtet, am Leben vorbei, bar jeder Realität. Wichtig für die Kritik. Kritiker/in braucht Anhaltspunkte zum vergleichen. Zum Schreiben braucht man das nicht.

Kunst wird zur Kunst, weil irgendjemand sagt : das ist Kunst. Lyrik zur Lyrik, weil…

So definiert ist meine „Geschreibe” Lyrik. Weil ich es so nenne. Empfindet mein Leser/Kritiker auch so, ist das Werk gut, wenn nicht auch gut. Es gibt noch mehr Leser und noch mehr Dichter…..http://www.wortsetzung.de/forum99 oder http://www.webring-lyrik.de oder siehe Links……

An den Ufern der Coater

An den Ufern der Coater

Entlang den Ufern der coater
läuten Todesglocken der Bedienersklaven
im Sumpf der Polyadduktionen
singt der lieblich’ Iso-di-zyanat heim’lige Lieder
Vinyl, Vinyl, Vinyl,
Chlorid, Chlorid, Chlorid
krächzt die Leber
lächelt die Krebsuhr, dem Stech ins Gesicht
gefahrstoffverordnet
totkonstruiert
vermüll ich mein Selbst
Austragsschnecken furchend
entlang den Ufern
der Kunst
der Kunststoff
der Kunstgefilden
entlang den Ufern der Coater
klingen Lieder
sanft und totenstill.

Woann isch nemme koann

Waonn isch mol nemme
fliehje koann
wann isch hald
nemme koann,
weil die Fliggl nemme sou wolle,
loss isch moin geischd flieje,
wie imma schunn
viel heischa nuf
wie vonnehä.
Hed’s glei sou mache solle,
grächs isch vor misch hie
laut grägsisch moi fraad
vor misch hä
un reib ma moi Fliggl
mit doinare Salb
und lieb alleweil oi
iwwa alle Wolge.

Was ist das denn, die lyrische Prosa?

Es mag am Wetter liegen, an der Konstellation des Euro zum Mars oder weil heute Morgen die Strassenbahn pünktlich war, sei es wie es sei, es hat mich gepackt. Immer wieder werde ich gefragt, was denn das sei, lyrische Prosa, steht doch auf Deiner Homepage, erklärten Sie zu Ihrem Text bei der Lesung.
Dann wünschte ich mir immer, ich wäre Shakespeare und würde Sonette schreiben. Da gibt es klare Regeln an Versmaß, Zeilenzahl, Versform, Reimarten und was weiß ich alles. Der geneigte Leser kann diese Regeln überprüfen und so feststellen, ob der Inhalt mit der Form übereinstimmt, diese Prüfung in seine Wertung übernehmen und wenn es nur unbewusst wäre. Nur widerwillig akzeptiert nun ein breites Publikum „Gedichte“ ohne solches Regelwerk. Texte, die nur einer losen inneren Struktur folgen, einem Rhythmus, den nur der Autor festzulegen scheint, wo bereits kaum noch „die Kunst“ als handwerkliches Kriterium bewertbar scheint. Dann komme ich und erzähle auch noch etwas von lyrischer Prosa, Prosagedicht oder ähnlichem. Selbst der Heilige Google findet wenig darüber, definitives. Also will ich es versuchen.
Nein, nein, ich will keinem Aristoteles, Lessing, Opitz oder Klopstock nacheifern und eine Poetik schreiben, nichts liegt mir ferner. Aber erklären sollte man seinen Text schon können, nicht müssen, bemerkte Hans-Ludwig zu Recht nach der letzte Lesung. Ich will diese Definition auch nicht für andere bindend betrachten, sondern nur „meine Form“ erläutern. Also wage ich mich „nicht-wissenschaftlich“ an die Sache, auch nicht aus der Warte des Lesers, sondern des Autors, von meiner urpersönlichen Warte aus.

Sehr oft, eigentlich fast immer, wenn ich nicht wie hier an einem „Sachthema“ arbeite oder eine größere Geschichte; gar Theater schreibe, bin ich zunächst auf der „Schreibebene“ leer. Ich bin gelaufen, habe meditiert oder mich sonst wie bereit gemacht. Ich öffne mich meinen Gefühlen und warte auf Worte. Meist kommt erst ein Wort, das ziellos durch die Gehirngänge kriecht und weitere sucht, Bilder findet, Stimmungen anstößt, Erinnerungen ruft, Assoziationen spinnt bis Satzbrocken kulminieren und der wache Verstand nun zu spielen beginnt, dort etwas hinzufügt, meistens streicht, versucht das Gefundene auf den Punkt zu bringen, zu „verdichten“ um so zu einer möglichst „gewaltigen“ Aussage zu kommen. Das nenne ich dann Lyrik, was zum Schluss auf dem Papier steht. Es gibt aber auch Tage, wo die Worte nur so prasseln, sich nicht streichen lassen, immer neue Verdichtungen sich aneinander fügen wollen, die Bilder sich wie Wolken türmen, weiterziehen um noch mehr Bildern Platz zu machen. Wenn sich die Worte wie von selbst zu kühnen Konstruktionen jagen, ja dann ist Essig mit der Kurzform, die Worte gießen sich eine eigene Form. Es ist ihnen wie immer egal, wie ich das denn verkaufen soll, spotten über die Schubladen, die wir doch so nötig brauchen, für unser armes Gehirn. Zumeist sind es Fragmente, willkürliche Abrisse aus großen Geschichten, wie unser Leben auch verläuft, die Aneinanderreihung von Abläufen, wo alles seine Zeit hat.

Also wäre die lyrische Prosa die Aneinanderreihung von Verdichtungen in vielen Bildern und „atemberaubenden“ Sätzen. Die Dichte von der Lyrik und die Form von der Prosa. Ganz gewöhnliche Sätze, hintereinander geschrieben, zumeist noch nicht einmal in Absätze gegliedert, Strophen und Zeilenlos und doch mit einem „lyrischen“ inneren Rhythmus, der sich trotz des Aufenthaltes in blitzenden Bildern dem Ende zujagt, joggt, walkt, tanzt, schleicht, ganz wie der Inhalt es will. „Die Inhalte bestimmen die Form“ und nicht umgekehrt ist das bei diesem Genre .

Es ist nicht das einzige, das ich liebe, aber ich liebe es AUCH.

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erstaunliches tat sich im www
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unterhielten sich 3 personen
verbunden durch webringe
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in monologen
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trios

ein mensch begann
und der dialog entspann sich
mal dual, mal im trio
ohne lektorat
ohne genaue absprache
ohne sich persönlich zu kennen
über hunderte von kilometern hinweg
sympathien alleine aus den worten ziehend
sich anstachelnd
sich ergänzend
sich provozierend
und immer wurde ein ganzes daraus

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2002

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