Ich war in “Mitwisser” von Enis Maci Premiere: Sa, 29. September 2018 Deutsche Erstaufführung, am Nationaltheater Mannheim, endlich ergatterte ich eine Karte.
Vorab mein Twitter-Thread, fabriziert direkt anschließend im Casino Werkhaus.
Seltsam, dass ich kurz vorher zu Hause über Rheingeschichten bloggte und der Fluss im Stück eine große Rolle spielt. Es ist übrigens ein starkes Stück #theaterimnetz
Der Trailer vom Theater!
Verbindung zu Youtube erst nach dem Klick.
Soweit alles gut. Ein Stück wie an der Leine gezogen, ohne Dialoge, nur Chor und Soli, als ob es ein Konzert wäre, ein Essay in Zierart mit einer gewaltigen, leisen, erhobenen Sprache, wechselnd von Takt zu Takt -Seit ich Tala Al-Deen in Endstation Sehnsucht singen hörte warte ich immer darauf, sie würde damit beginnen-. Von einem Ast zum nächsten. Die Schauspieler immer in Bewegung, als ob es Ehrenurkunden für die Bundestheaterspiele gäbe. Sie klettern über die Stellwände der Kulisse, sind fast nie außer Sicht, auch backstage werden sie von Kameras verfolgt, die Videowand ist immer on, wie im Netz.
Wir sind Mitwisser.
Frau Arbeiter (Die Agierenden sind namenlos) aus dem Ensemble konnte sich beim Schlussapplaus nicht verbeugen, hoffentlich ist nichts passiert. Waren deshalb die Chöre nicht mehr ganz syncron?
Drei Fälle werden abgehandelt. Echte Fälle, bekannte. Der Mord der Nevin Yildirim an ihrem Vergewaltiger, Vorsicht, ich habe die Links nicht alle geprüft.
Der Mord an seinen Eltern von Tyler Hadley in Florida.
Die Radikalisierung von Nils Donath aus Dinslaken hin zum IS. Achtung die ersten Links führen zur Bildzeitung. Wissen Sie schon Bescheid.
Aber ich fand die Links. Wird später wichtig in diesem Blogpost.
Der “Plot” folgt keinem genauen Plan, scheint es. Die Orte werden in GPS-Kordinaten an die Wand gebeamt. Für Port St. Lucie (FL) 27° 16′ 22.977″ N 80° 21′ 29.614 z.B. Jeder Ort auch mit Adresse, also Ort und Straße. Die Orte wechseln gen Ende immer schneller, werden beliebiger, sind auch einmal Weimar oder Friedrichshafen.
Wie beim Surfen hangelt sich die Story von Link zu Link, meist an Worte geknüpft. Als ob James Joyce Pate gestanden hätte, von einem zum anderen sich verlierend. Beispiel?
Eingeschoben ein Interview mit Hooligans und bekannt blöden Nazi-Sprüchen in Kapzuen, die dann singen “Wir sind Deutschland” und per angeklebten Bärtchen zu Gartenzwergen mutierten und dann eine Einführung ins Sisha-Rauchen geben und als Beurteilung “Langweilig” angeben, übrigens eines der witzigsten Szenen des Stückes, fast Kabarett. Dann nimmt das Stück die Langeweile auf und verkündet, dass all diese gelangweilten jungen Männer das Übel der Gewalt brächten. Hoffentlich schließt niemand daraus Zwangsbespaßung daraus machen zu müssen.
Fast ergreifend die Beschreibung der Emscher, in Dinslaken, wo dieser IS-Mann haust. Ich musste auch erst googeln. Von der Gelsenkirchnerin Maci Betrachtungen am kanalisierten Vater Rhein folgend.
Dann das Internet, mal als “System mit intelligent vernetzten realen und virtuellen Objekten sich selbst steuernden Ökosystem” in der Zeppelin UniversitätFriedrichshafen., dann wieder an der Wand das Statement “Das Internet ist (Facebook??) Tumblr, Youtube.
Pythya, inzwischen auch im Boot, sucht bei Youtube um zu orakeln, in Delphi, wir alle sind Orakel in Person oder als Chatter*innen. Es ist wirklich ein Stück im Netz #theaterimnetz.
Ein Wahnsinn, was auf einen einprasselt, ohne Halt und Aufschub, wie im Leben mit dem Netz auch.
Aber!
Warum sieht man vom Netz nichts auf der Bühne, nur ein Schild, darauf “Internet” steht, eine Tür zu einem Raum? Sic!
In einer Nachtkritik zu der Wiener Uraufführung der Satz: “Unaufführbarkeit der Vorlage…. Ganz abgesehen von den gedankenschleifigen, in der Bühnenfassung größtenteils gestrichenen Regieanweisungen und dem auf Links basierenden Quellenverzeichnis.” Hhhm. Die Aufführung hätte ich jetzt gerne gesehen. Aber Quellverzeichis? Hhhm. Im Theaterverlag ein Abdruck. Print.
Ich wollte schon. 15 Euro geht ja, aber das dauert dann mit der Schneckenpost und Links im Print? Abtippen wie zu Listing-Zeiten? Nein.
Ich fand genügend Links, siehe im Text. Was tun sprach Zeus?
Also hätte man nicht zu den Ortsangaben Links an die Wand projizieren können?
Die gerade vorgesprochenen Wikieinträge an die Türen? Nicht zum mitlesen, als Kulisse, damit “Netz” vermittelt wird. Die Seekuh am Bodensee, die ein Mähboot ist.
Ein Chatverlauf irgendeiner App.
Eine Stichwort-Wolke mit Schlüsselworten.
Twitter (Wie bei Trump)
Irgendsowas. Nur um zu zeigen: Dies ist ein Stück, das im Netz spielt und auch hier. Die Wechselwirkungen. #ichmeinjanur
Könnte die Regie ihren Personen ein normales Verhalten geben und sie in Abständen nach dem Smartphone greifen ließen? Doch das ist inzwischen normal.
Als Zeichen der Transparenz eine Linkliste. Von der Dramaturgie. Es muss ja nicht die ganze Linkliste vom Verlag sein. Bei anderen Stücken auch gerne eine Song-Playlist. In einem Blog vielleicht? Einfach Bonusmaterial nennen. Für dieses Stück besonders.
Unverschämt der Kerl. Ich weiß! :)
Ach so ja: Der Mühlheimer Dramatikerpreis wurde die letzten 2 Jahre von Hausautoren des Nationaltheaters Mannheim gewonnen.
2018 von Thomas Köck.
2017 von Anne Lepper.
2019 ist dieses Stück nominiert, in der Version der Uraufführung.