(Alle Bloggings zur Mannheimer Sommermusik gibt es hier!) (Für die Nerds unter uns: Es geht hier NICHT um neue Zähler für Webseitenaufrufe)
Nein, “Eviva il contello” – “es lebe das Messerchen”, braucht niemand mehr zu rufen, auf die Gefahr hin, dass man die einmalige Stimmlage eines Kastraten nie mehr zu hören bekommt. Countertenöre, die Alt- oder sogar Mezzo-Sopranhöhen und Stimmen in voller männlicher Pracht und Keimdrüse durch spezielle Singtechniken erreichen, sind mehr als Ersatz, wenn es darum geht uns Barockmusik nahe zu bringen. Wie gestern Abend Gerard Roscoe in der Schlosskirche zu Mannheim, meinem zweiten Besuch eines Konzert des Festivals Mannheimer-Sommermusik. (Ich berichtete)
Witzige, anrührende, melancholische, informative und engagierte Texte entführten uns in die Welt des Barock, der Entstehungszeit der italinischen Oper, die mit dem DeutschenSachsen G.F Händel in England einen ersten Höhepunkt fand. Was schwätzen sie die heute alle über Globalisierung, hä?
Es war ein emotionaler Abend, im Kerzenlicht, in die Vergangenheit geführt, ohne Glorifizierung, aber mit Respekt vor der musikalischen Leistung der Altvorderen, locker leicht erzählt und mit Glanz und Gloria gesungen.
Das hörte sich, sehr, sehr gut an. Scheinbar schwerelos erhob sich die Stimme manchmal in die Höhe der Schlosskirche zu den Putten oben an der Decke, hoch zum Wappen der Kurfürsten von der Pfalz unterhalb der Orgel, die natürlich auch Kastraten in ihrer Hofkapelle, in dieser ihrer Hofkirche singen ließen. Ist Mannheim doch ein Kind des Barock, eine barocke politisch-architektonische Gründung, auch wenn im Stadtbild selbst der Jugendstil dominiert.
Es war schön gestern Abend. Wer es verpasst hat sollte sich den namen Gerad Roscoe merken. Hingehen das nächste mal, das ist absolut empfehlenswert. Eine nicht gleichwertige Einführung in die Welt der Kastraten gibt es hier, im Klassikforum Österreich, das die gleichen Literaturempfehlungen gibt, wie Roscoe in seinem Kozertflyer.
Das Festival nimmt Fahrt auf und enttäuscht nicht. Die Fahnen, die stolz vor der Kulisse des Schlosses wehen, das ja ansonsten die Universität beherbergt, sind durchaus angebracht. Büprgerkultur ist das ohne Beigeschmack. Engagiert, gekonnt. Kultur jenseits der Leuchttürme, Boden verhaftet und doch in die Höhe zielend. (Siehe oben, das mit dem schweben meine ich.)
Äh, was ich noch sagen wollte: Herr Roscoe, als kein Mikrofon da war hat man sie sehr gut verstanden. Sie singen doch auch ohne. Warum hantieren sie dann dauernd mit dieser Technik und ja, Scheinwerfer braucht man eigentlich auch nicht, wir haben es sehr genossen, das kuschelige Kerzenlicht. Nein, ich erzähle jetzt nix über Sicherheit auf Bühnen ;-). Und ja: Wie befreit haben sie gesungen, als sie begleitet wurden. Vielleicht wäre das auch für das ganze Programm gut, nicht dass sie schlecht cembaliert hätten, aber in Begleitung klang das besser, auch wenn die Begleiter manchmal zicken sollten. Daniel Fieß, dieses mal nicht mit Sonnenbrille, sondern mit venezianischer Maske am Cembalo und der Orgel machte das wirklich vortrefflich und zicken, aber nee doch, oder?. Ach ja noch was: Der Platzwechsel, weg vom anmutigen Bühnenbild vor und verbunden mit dem Altar, hinauf zur Orgel, mit Auszug und schnellem Lauf hintenrum wieder vor zur Verbeugung vor dem Publikum war Spitze!
Was wir hörten? Nun: Caccini, Cavalli, Caldara, Purcell, Keiser, Vinci und Händel, Händel, Händel!
Merci, war gut gemacht. Ja doch, Farinelli kam auch vor! Doch! ;-). So und nachher geht es Dvorak: Messe op. 86 für Chor und Orgel. Ich muss mich beeilen.