Oh da, da Poesie: Baumsteig

Und wieder ereilt uns der Tag der Poesie. Auf der Leipziger Buchmesse hat man sich diesen März ja auch poetisiert und wenn man den Gazetten glauben darf ist Jan Wagners “Regentonnenvariationen”, zumindest in Mannheim vergriffen. Ein eBook davon gibt es auch nicht. Das könnte ja nicht vergriffen sein.
Wenn das Volk aber darbt, dann springe ich doch gerne ein. Bitte schön. Mikelbowert Euch!
Baumsteig als pdf einfach so zum poetischen Download.

(83 lyrische Texte auf 87 Seiten 164 kb)

Wir singen nur Sonnen

Ursprünglich erschienen am 27.10.2010

Auf Twitter gestern Abend, ein Bild, von einem iPhone aus einem Bus eingefangen, von @ichhebgleichab. Und es könnte jede Stadt sein. Scheinbar kalt, abweisend, grau und doch, ich mag die Städte… Lichter, die Wärme versprechen, manchmal und spontan schrieb ich ins Bild. Hunderte Kilometer entfernt.

Erlaubnis von @ichhebgleichab ist erteilt. Doch, doch, man kennt sich. Das Netz und die großen Städte sind oft weniger anonym, als die vordergründige Standard-Interpretation des Bildes glauben macht…und gute Wünsche reisen mit.

des kleinen mannes kleine finger

10/2001

reisst die kleinen finger
reisst sie aus
reisst die kleinen finger
des kleinen mannes
reisst sie aus
auch der kleine mann
muss opfer bringen
gibt uns kleine finger
wir nehmen die hand
reisst die kleinen finger aus
kleine finger, kleiner mann

Ach ja, der Frühling schreit

Jahrgänge

Auch diese grünen Blätter
von trillernden Vögeln geweißt
werden sich färben
für mein Gepresse
Jahrgänge ringen mich

Stranden

Meine Runzeln
raunen Runen
in den Schorf
längst verheilter Wunden

Unzahl

Eine Unzahl
addiert mich
wer dividiert sich schon
in diesem Rausch
aus Multiplikationen
zieh die Wurzel, zieh

Kataloge

Nein ich beachte nicht
das Design der neuen Särge
ein neues Bett vielleicht
und noch einmal
eine Truhe für die Spiele

Testament

Einmal wollt ich
nützlich sein
Kann mich wer
zu Dünger malen

Mathemathische Erotik

Im Satz des Thales gefangen
diesseits von Delta Liebe
diskutieren wir Kurven
von Null zur
Unendlichkeit des Zahlenstrangs
differenzieren
integrieren
bis zur nten Wurzel
der Zahl des Tieres
und 9 über 9 über 9 mal
duplizieren wir
unsere Achsen
in die Unendlichkeit des pi
relational

Zum pi-Tag (3/14)
Aus “Lyrologien”. Von Gertraud Schubert, Monika Wegscheider und mir. Ein Beitrag zum Wettbewerb “Digitale Literatur” von DTV und T-Online 2002. Entstanden als Dialog-Gedichte in den Foren der Leselupe.

Ü 60 mein Schatz

Drei Schiffe aus Kastanienmelange
schleudern in die Wüste des ewigen Pop
dem Jagger die Satisfaction aus den Falten
tanzen lets spend the days together
und nur noch die großen Zehen tanzen
sollen sie doch giggeln die Tanten
mit ihrem Elternabendblick zum
Matheheftaufkleberfick und den Seufzern
in den Rheumaliga-Esoterien
mein Knie hält nur noch 2 Stunden
über den brennenden Knöcheln
ich tanze den Cummings durch
die Bachmannerei zu den Laboratorien
in der cannery road east of eden
was scheren mich 47iger
als hätte nur Kafka in Prag gesungen
und der Tango bläst in Nierstein
die fröhlichen Weinberge des Zuck
Maggi mein Messer
keine guten Menschen mehr
lasst uns Kreide greisen
I need someone to love
ach Joe, ach Joe
draußen nur Mozart
zum Requiem fuck ye
Bayreuth

Ich war mit in Santa Monica

Ich war in „Santa Monica“ von Akin E. Sipal. Inszeniert von Tarik Goetzke. Absolut neu für mich: Im Dezember war ich als Bürgerbühnler zu einer Autorenlesung des Stücks eingeladen, im Schwesterklub. Ich berichtete.
Zitat:

Und wie er las. Atemberaubend, nur mit 5 Minuten Unterbrechung, das ganze Stück. Als wäre es lyrische Prosa. Über eine Stunde und keine Sekunde war langweilig. Ich war schon in vielen Lesungen, aber derart spannend, intensiv, mitreißend und doch distanziert, als ob er seinen Worten nicht ganz trauen würde, so frisch verliebt in sie, habe ich schon lange nichts mehr von einem Autor gehört, vielleicht nur Raoul Schrott bei lesen.hören, vor Jahren.
Ich will vor der Premiere nicht viel zu dem Stück selbst sagen. Es muss erst auf die Bühne, dort wirken, beweisen, dass dieses Wortkaskaden mit den teuflisch guten Bildern, der fast schnoddrigen Sprache, die doch Schmerz beschreibt, Theater ergibt. Ich bin höllisch gespannt darauf, was da im März 2015 auf die Bühne kommt.

karte_monica

Und es war großes Theater! Der Drive dieser elementaren Sprache wurde fulminant umgesetzt, auch wenn ich mir manchmal noch mehr Zeit zum Atmen gewünscht hätte. Gerade die beiden Brüder spielten mit den Bildern, den Sprachattacken, beschwerten sich über die Vernachlässigung der angstbesessenen Alten. David Müller schaffte es als älterer Bruder sogar einen als Zitat kenntlichen medizinischen Wikipedia-Artikel in der Atemlosigkeit der lyrischen Prosa zu transformieren. Ich war mit in Santa Monica weiterlesen

Der Frühling wäscht sein blaues Bad

All die Tage, die ich überlebte verspotten den Tod, der gemächlich Frühlingssonne tankt, draußen auf der Bank, die alle Eile schlachtet.

Jeden zweiten Donnerstag üben die Frauen des Laurachores Croft in Saal VI richtig trauern unter der bewährten Leitung von Adelheid Schmitt.

Der Duft dieser Melodie sprüht Stille durch die Blumen auf mein Bett

Und wieder blühen die Kirschen, schreien ihre Pracht in den blauen Himmel. Wie jedes Jahr werde ich erst die Früchte verstehen und die fallenden Blätter, die leise lächeln.

Gesänge aus Harddisks und Sticks grölen zwischen die Furchen, die Traktoren säten. Wer denkt schon an den Schweiß der Ernte und die Käfer.

Ich verlier mich im Safe der Versicherungen.

Die Kriege fliehen, werden von den Unternehmen in die Gazetten verlegt, wo man sie weiter verführt. Sieben Sonnen schmelzen das Gestern, wir hören den Schnee.

Drei Mal im Monat treib ich Tränen durch die Mäuler der Fische, als Meerschaum geboren, an Deinen Strand. Leise summt die Invasion.

Diese Weilen langen wir durch Dick und Dünn.

In Zeiten die nach Seife riechen, schweißlose Arbeit durch die After rauscht, schütteln wir Hände und Köpfe, stöhnen wir durch lange Nasen.

Hinter die Gedanken, die wie Pilze in leeren Kohlenkellern auf Stroh gebettet schimmeln, feilen ungeweihte Schwingen Reden für den nächsten Wald.

Waschmaschinen für Flügel engel ich Dir im stromlosen Paradies. Wer kohlt den schwarzen Mann?

Schmale Grate schwingen sich entlang der Mittelstreifen durch die Gebirge, wachsen zwischen Himmelfahrten, wer kennt die Kommandos, Du, Bimberle?

Blasenfrei und schaumlos wachsen wir Kerzen, lichten uns.

Werte unter sich

Der Respekt dröhnt
trunken durch die Hallen
der Anstand küsst die Gnade
unter den Betten der Etikette
staut sich der Meterhoch

Auf meinem Dreirad bläst die Pauschale
Auszugskonten kreuzen im Wind

Kannst Du mir
diesen Wind waschen
solang ich die Wolken küsse
wir fliegen unter die Brücken
Kraniche pflügen Furchen in die Stirn