Gänzlich schwarz war die Bühne in der alten Feuerwache, jedwegliches Licht wurde absorbiert. Die dunklen Anzüge der tätigen Kombattanten waren beinahe unsichtbar gegen die Blackbox der Guckkastenbühne, nur glänzende weiße Gesichter schienen im spärlichen Scheinwerferlicht zu agieren. Nein, es war keine Trauerfeier! Das Lesefest lesen.hören wurde eröffnet. (Wir berichteten) Genazino las aus seinem neuesten Roman!
Wilhelm Genazino „Mittelmässiges Heimweh“, Roman, ISBN-10: 3-446-20818-6 ISBN-13: 978-3-446-20818-6, Hanser Verlag München 2007. Seltsam, solche Hinweis auf die Bücher tauchen in der Öffentlichkeitsarbeit des Literaturfestes nie auf, obwohl die Stadt zugepflastert ist mit Plakaten. Seltsam. Beim Hanserverlag (übrigens eine gelungene Homepage) gibt es auch eine Leseprobe.
Ich war fasziniert, hätte noch weiter hören können, wollen, sollen und wäre dann am liebsten mit dem Buch in der Hand in die Feuerwachenbar gerannt um selbst zu lesen (sagte ich schon, dass es dort wlan gibt?). Das Buch hört sich irrwitzig tiefgründig an, wie immer bei Genazino in einer lockeren Sprache ohne Schnörkel, die doch nie platt wird, die klingt, einer ganz eigenen Melodie folgt, den Leser.Hörer laut auflachen lässt, obwohl doch von tiefer Verzweiflung die Rede ist. So schön hätte es sein können, aber wie sprach der „Moderator“ Böttiger: Es war eben eine „Literaturbetriebsveranstaltung“. Dort geht es ordentlich top-down zu. Da der genialische Autor, dort die Kritik, die dem dümmlichen Angestellten das alles erklärt. Ja, ja, es gab jede Menge Angestellten-bashing und Fastnachtsbashing, damit die Angestellten der Sponsoren nicht denken, man wäre käuflich, gell. Ja nicht den Autor direkt mit dem Publikum kommunizieren lassen. Furchtbar, wo kämen wir denn da hin, Zustände wie im Internet.
Zuvor ein Schirmherr (was tut eigentlich ein Solchiger?), der dies alles legalisiert, den An- und Nichtangestellten verkäuft, zu was denn Literatur gut sei. Er sprach viel und gern über wirtschaftlich erfolgslose Autoren, Gott sei dank erwähnte er den „armen Poeten“ nicht, den brauch ich noch. Sehr erheiternd sagte er das, war froh, dass aus der schlechten betriebswirtschaftlichen Lage vieler Autoren so schöne Literatur entstünde. Er lächelte dabei, dachte wohl an sein Honorar, was weiß ich was so ein Schirmherr verdient, nicht zu knapp denke ich. „Endlich sind wir Lesenden unter uns “, sprach TV-Willemsen, aus dem Gedächtnis zitiert so ungefähr, „endlich kann man Kultur offensiv vertreten, so unter uns“. Eben. Ganz unter uns, die Nichtleser sollen ruhig Nichtleser bleiben, dafür gibt es ja Literaturfeste, da sind wir ja unter uns. Im Interview des Morgenmagazins wurde ja auch schon die Kundschaft beruhigt, das ganze sei „ein Angebot zum guten Buch“. Immer wenn jemand „gutes Buch“ sagt werde ich vorsichtig. Das sagte früher immer der Pfarrer und meinte damit langweilige Bücher, in denen kein Sex oder Andersgläubige vorkamen und niemanden zum selbst denken angestiftet wurde. Das Wort vom „guten Buch“ trennt präventiv. Kanonisiert, hält Menschen ab, selbst zu bestimmen, was gut zu lesen ist. Natürlich kann man sagen: Das ist ein gutes Buch, das ist ein schlechstes Buch. Anhand von Textbelegen. Aber die Einteilung in eine Welte der „guten“ Bücher und der schlechten Bücher à priori, ist kontraproduktiv. Ich hätte wirklich das Buch nehmen sollen und weiterlesen. Genazio kann man auch ohne Moderation lesen. Schon gar keine solch knorrige, sperrige, unambitionierte, spröde und langweilige, wie die vom Herrn Böttiger. Dabei lese ich seine Artikel eigentlich recht gerne, na ja, manchmal. War halt Literaturbetrieb pur, sollte man achselzuckend ad astra legen. Ich hätte es wissen müssen und gleich nach der Lesung gehen sollen, wie es viele taten und mir das „Zerreden“ sparen. Aber ich habe noch nette Leute (manche endlich mal persönlich) getroffen, das war auch was wert und gehört wirklich zu einem Fest. Das MITEINANDER reden, nicht nur das beredet werden. So. Das Buch muss jetzt erst mal warten, bis der fade Geschmack weg ist. Aber dann. „Mittelmäßiges Heimweh“, Leute das klang gut, solltet ihr auch mal lesen. Ob ich nochmal zum hören.lesen gehe? Ich weiß noch nicht. Böttinger und Celan nach dem gestrigen Auftritt mag ich mir nicht geben heute. Und die Russenküchendisko auch nicht. Frau Löffler schon gar nicht. Mal sehn.
Ach so ja, der Kulturbürgermeister hat auch was gesagt, er hat sich der Räuber77 erinnert. Und der künstlerische Leiter auch. Hab nicht aufgepasst und lieber mit den Nachbarn geflüstert. lol