Prolog
Im Bild: Das “Alte Kino” in Mannheim-Franklin. Ersatzspielstätte des Nationaltheater Mannheim, vor dem Kletterzentrum des DAV auf Franklin. Da könnte man doch wie einst zu Corona Insta-Inszenierungen machen. Geklettert. Ach, hör auf zu träumen, mikel.
Nach dem Ende einiger orthopädischen Beeinträchtigungen und den bekannten Corona-Misslichkeiten wende ich mich, mehr und mehr, wieder meinen kulturellen Verpflichtungen zu. Im Hause Theater im Felina-Areal erlebte ich zwei formidable Tanzabende und natürlich besuchte ich das neue NTM-Ausweich-Theater. Nur 3,5 km vom Küchentisch entfernt. Wenn es die Wärme zulässt, ist das in Fahrradreichweite. „Der gute Mensch von Sezuan“ sah ich 1969? schon in Heidelberg. Nun im Amikino, angetan mit weißem Rollkragenpulli und grauem Schal, es war kalt, nahe dem Käfertaler Wald. Was hatten wir hier herrliche Zeiten bei der Ami-Kerwe, im PX und in diesem Kino. Wenn wir Viernheimer mit dem Rad oder der OEG nach Mannheim fuhren, dann mussten wir zuerst durch Franklins und Sullivans Amerika. Plötzlich fiel mir ein, dass Franklin und Schiller Zeitgenossen waren. Hhm. Brecht war oft langweilig, so auch hier. Im Werkhaus des NTM lief Tage später Leonce und Lena, als „Kalte-Wasser-Premiere“. Lustig. Fast das ganze Ensemble war im Publikum. Man hatte sich die Lena erspart. Deklamationen via Reklam, wie einst zur Schulzeit. Statt dessen knutschten zwei Schauspieler wie wild auf einem Sofa. Das Publikum wurde auf die Bühne gelockt. Ha! Ich blieb sitzen. Schon im Felina ließ ich mich locken und musste als Katze tänzeln, nee, nee. Crémant gab es im Haus und auf der Bühne. Angeblich für 200 Euro. Warum gab es keinen Winzersekt, aus der Pfalz oder von den Weingütern der Hessischen Bergstraße, gesponsert (Der Landbote -sic-!). Mehr PR wagen! Hatte man bei Sick of Siegfried nicht schon alle Siegfriedsbrunnen-Epplwoi-Dörfer in Odins Wald verärgert? PR im Theater?
Eine Geschichte über seltsame PR bohrte sich ins Hirn!
Mats (nein nicht der), Mats (12) war verliebt. Er wusste, dass die 22 jährige Schwester seines Freundes nichts von ihm wollte. Also nicht das. Aber was kann man schon gegen die Liebe tun? Er hing oft mit seinem Freund Timo ab (nein nicht mit dem), in dessen Resort, wie es so schön heißt, verfolgte sie auf den Socials und beäugte sie still bei Besuchen. Im Wohnzimmer wütete Lois heute, wie so oft, gegen den Theaterkritiker der lokalen Monopolzeitung. Sie arbeitete als Grafikpraktikantin im Theater, im Rahmen ihres Kunststudiums.
Das örtliche Stadttheater war zum Theatertreffen in Berlin eingeladen. Mit Johanna von Orleans, also dem Theaterstück. Schiller. Da langte der Journalist keifend, Spucke speiend, kräftig nach: Nein, deshalb sei das Gesamtkonzept der Intendanz trotzdem nicht gut, überhaupt das ganze feministische und post-post-moderne sei obsolet. Schlusssatz war in etwa: „Übrigens kann man auch mit Schiller nach Berlin“. “Wo spielt denn der Schiller, unter welchem Trainer”, rief Timo, um sie zu ärgern. Mats stieß unter dem Tisch an die Schienbeine, wie im Training.
Lois tobte. Dabei schreibt der in seiner Dialekt-Kolumne Mannheim „Mønnem“, mit dem durchgestrichen ø für das kurpfälzisch-nasale „oa“. Ganz klar eine „Kulturelle Aneignung“ der nordischen Sprachen. Wie sollte da eine Inszenierung wieder einmal zum Theatertreffen eingeladen werden? Sie wolle da auch mal hin. „Wegen einer Dramaturgin wohl“, dachte Timo laut.
Sie verdrehte die Augen, aber Mats sah seine Chance. Er spielte Fußball. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“. Wegen des Pokalendspiels im Olympia-Stadion. „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“ Überhaupt keine gescheite Fanszene hätten sie da bei den Theatern. Keine Trikots, keine Schals im Shop. Bei den Premieren müsse man in diesen Roben bei dem Schlussapplaus in die Ohren der Kritiker grölen, „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“. Da seien doch diese auswählenden Kritik-Menschen live und in Farbe, oder?
Verdutzt nahm Lois die Idee auf, bemerkte Matz zum ersten mal und glühte vor Begeisterung. Eine Amateur-Truppe wurde zusammengestellt, heimlich, Weiße Langarm-T-Shirts hand-bemalt, nicht beflockt. Schals in Regenbogenfarben strickte Mutti mit ihrer Handarbeitsriege, nach Lois’ Vorgabe.
Zum üben begab man sich in die Pfalz, Woifeschd, ye know. Und grölte, fällt dort nicht so auf. In Bad Dürkheim allerdings war ein Korrespondent der NYT privat dort, er besuchte seinen Bruder in Ramstein. Das Gegröle interessierte ihn. Klar sprach Mats Englisch. Es war saure Gurkenzeit in NY und so platzierte der Ramstein-Typ einen Artikel in der Times, mit der süffisanten Empfehlung an die PR des Broadway und des Valley.
Mannheim in der NYT. Als ob eine Bombe geplatzt wäre. Das Theater reagierte sofort. Der Hausregisseur engagierte die Truppe stande pede für die Macbeth-Produktion auf dem Lastwagen, als „Shakespearean fools“. Mats war glücklich! Mit Lois auf der Bühne.
Die Werkstätten fertigten in Windeseile Trikots mit Logo und Schals in eleganter Ausfertigung, Zur Wiederaufnahme des Macbeths war ein Shop gelauncht.
Die Parteiagenturen schalteten auch. Die Kandidat:Innen für die nächste Bundestagswahl traten auf dem gesamten Werbe-Paket mit den Schals angetan, sie wollten ja auch nach Berlin! Grölten es, mit Trikot selbstverständlich.
Die Accounts der Fashion-Influenzer:Innen (nein die nicht) glühten. Überall, wo es Podcasts gibt, war es der heiße Shize. Auf der Fashion-Week tauchten erste Theatertrikots der Modelabel auf, kurz und knapp, In Paris wuselten die Mannequins nur mit Schals der Comédie-Française bekleidet über die Katzen-Gänge. Der Britische König aber weigerte sich im Globe ein Trikot zu tragen ohne Krone und Hosenband.
Die Großen Staatstheater unserer Republik, den Länder zugeordnet, zogen nach, nur die Volksbühne nicht, sie suchte noch nach Schals von Rosa Luxemburg, das Berliner Ensemble nach Tüchern der Mutter Courage. Überhaupt die Berliner. Was grölt man denn, wenn man schon in Berlin ist? Eine Gruppe namens „Schrippenzieher“ demonstrierte in Trikots von Union Berlin vor dem Schillerdenkmal auf dem Gendarmenmarkt gegen die Invasion der Schwaben aus Mannheim. So genau kennt man sich im Osten nicht aus in Süddeutschland.
Das Gegröle aber ging den Opernmenschen in dem 3-Spartenhaus auf den Zeiger, also komponierte ein Korrepetitor frisch einen Song, dass man nach Berlin wolle, in Anlehnung eines Stückes, das Mozart in Mannheim komponierte. Der Opern- samt Kinderchor sang auf Youtube und allen anderen Musik-Kanälen, gestreamt, nicht betüttelt. Abertausende Klicks folgten stündlich.
In Mainz gründete sich eine neue Garde „Die Papenheimer“ mit Theatertrikots und Schal statt Uniform, für den Rosenmontagszug, statt Bütt auf dem Rücken fahren sie auf Vollerntern durch den “Fröhlichen Weinberg” uff de Gass. Ihre Symbolfigur, der Zuck, ist nun bei den Boonebeitel im Fänsehn, mit Trikot und so weiter des Staatstheaters.
Bei soviel Aufmerksamkeit für Mannheim und Mozart reagierte man auch im Roten-Bullen Salzburg. Der Jedermann und seine Buhlschaft wurden aus dem Mannheimer Ensemble engagiert, vor dem Salzdom die Knittelverse des Herrn Hofmannsthal vorzutragen. Natürlich mit Schal und im Trikot.
In Wien war man ganz gelassen, es blieb für die Burg ja die Teufel und die Gott in Salzburg. Die beste aller Online-Digitalitäten, am Burgtheater engagiert, managte das ganze knallhart als Theater im Netz. Eine Kampagne „Mit Schal und Trikot“ auf Insta forderte das werte Publikum auf, eigene Entwürfe zu posten, kurze Moves auf TikTok mussten sein und dann aktivierte sie wieder ihre Twitteraktion mit einem „Nicht-Räuber-Theater“ mit Nicht-Schal und Nicht-Trikot.
Die Fußballer der FIFA übrigens grinsten nur. Was die verdienten im Theaterwesen, lachhaft. Sie gingen dann in ihren Euros baden.
Als dann alle Theater, auch die örtlichen Amateurtheater, ihre Trikots hatten und das neue „Berlin, Berlin“ des klavierenden Repetitors gesungen wurde, bitte nicht mehr gegrölt, fand Mats eine gleichaltrige Freundin, Lois’ Schwester nämlich, Conny, wie es die Tradition verlangt im mozartlichen Mannheim. Trikots gab es auch bei Aldiddel armesvolk-günstig im Angebot.
Einen Wettkampf mit Amaton-Primo und Disdie gewann Wettflix. Die Real-Live-Serie mit Lois und ihrer Dramaturgin. „Der Schal zum Glück“. Öffentliche Hochzeit includiert, am Wasserturm unter den Fontanen, äh Fontänen, nass im Trikot natürlich. Als Logo war nur ein durchgestrichenes „ø“ aufgestickt. Auf eine ‘rausgestreckte Zunge appliziert.
Stoisch steht dagegen Schiller als Genie auf den Sockeln und lauscht seiner Ode an die Freude, denkt an Europa und dessen Pokale, wollte nur nach Weimar fahr’n, Weimar all the time!
Ich ging lieber nach Schwetzingen, Figaros Hochzeit ansehen, in angenehmer Begleitung und Kirschblüten bestaunen. Ohne Trikot aber mit Schal.