Geläufigkeit

Wie man an den vorherigen Einträgen sieht bin ich am aufräumen, Platz schaffen, Zeit schaffen für das neue Projekt. Parallel dazu beginne ich mich in prosaische Schreibweisen einzuarbeiten. Bevor ich ernsthaft mit dem Plot beginne, dem Zeichnen der Protagonisten und was es dazu bedarf. (Warum gibt es dazu eigentlich keine vernünftige Open Source, die Romanentwürfe logistisch unterstützt? Aber das verschieben wir auf das Rentnerdasein ;-) Das riecht nach Plugin für OO) Und so bin ich heute das erste mal wieder mit Rechner in die Drehscheibe gewankt, um die Finger laufen zu lassen. Einfach nur drauflosschreiben. Das lyrische Ich, das ja sprachlich knapp denkt ins prosaische zu überführen. Ich träume tatsächlich von einer fast lyrischen, rhythmischen Sprache auch für die Prosa und so werde ich meine Leser hier teilhaben lassen an den Übungen. Ich habe die 2 Din-A4 einfach so drauf los geschrieben, als würde ich lyren. Ohne Plott, ohne Story. Einfach laufen lassen und nicht loslassen. Macht Spass, doch. Es ist nur ungewohnt, auf einmal wieder ausschweifen zu lassen. Also hier kommt’s:

Geläufigkeit

Ich laufe. Manchmal wollte ich, wir würden im Mittelalter leben und ich könnte durch die Lande laufen und keiner würde mich deshalb schief ansehen. Einfach gehen, laufen von A nach B. Ohne sich rechtfertigen zu müssen, ein Projekt daraus machen, einen Grund haben. Es ist schon seltsam. Da fahren die Menschen mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit in ihren Blechkisten auf ihren Autobahnen und keinem kommt es in den Sinn zu fragen, ob diese Reisen einen Grund haben, ein Projekt sind. Es gilt als vollkommen normal, einfach umher zu fahren, vielleicht einfach soweit, bis es nicht mehr regnet.

Die Menschen fahren an ihren Wochenenden nur so zum Spaß hunderte von Kilometern, nur um irgendwo Mittag zu essen. Keineswegs Gerichte, die sie nicht auch zu Hause bekommen könnten, es werden ja alle Lebensmittel zu ihnen gekarrt und falls sie diese nicht benötigen umgehend ordnungsgemäß entsorgt. Keineswegs.

Wenn ich aber nur 20 Kilometer gemächlich zu wandern gedenke, nur um vielleicht in der nächsten Stadt eine Liebste zu finden, dann werde ich mit großen Augen untersucht, mein Geist erforscht, der Psyche versucht zu erleuchten. Es gilt als unvollkommen größere Strecken zu Fuß in Angriff zu nehmen, um tatsächlich irgendwo anzukommen. Die Menschlein streben nur nach dem Vollkommheit, dem höchsten, dem schönsten, bauen sogar ihre Häuser bis hinauf in den Himmel, streben dorthin und hassen alles Hässliche, das sie von der Erde vertilgt haben. All diese Wolkenkratzer stellen ihre Vollendung dar, ihre Parkplätze, die 20spurigen Autobahnen, die verrosteten Industrietempel, die aufgegeben an den Flüssen oxidieren, den Regen küssen, unentsorgte Schönheiten, die sie als Wertstoff bezeichnen und damit meine Wege verzieren.

Natürlich ist es gesellschaftlich hoch anerkannt große Strecken in Rekordzeiten zu belaufen, man wird sogar ausgezeichnet dafür bezahlt, möglichst schnell zu laufen oder zu gehen. Sogar die Drogenindustrie wird dafür in Anspruch genommen. Wettbewerbe werden dazu ausgetragen und die Gewinner werden mit Orden belohnt, wie einst vom absoluten Souverän. Aber all diese famosen Läufer und Geher, es soll sogar Rückwärtsläufer und pfeilschnelle Hüpfer geben, all diese Renngeher und Rennläufer werden tausende von Kilometern durch die Gegend gekarrt, sogar geflogen oder verschifft um an wechselnden Standorten gegen die immer gleichen Gegner zu laufen. Es käme niemand in den Sinn dorthin laufen zu wollen, denn das wäre ja kein Sport, kein Messen der Kräfte, sondern alltäglich.

Aber ich werde es schaffen. Ich werde in die Stadt laufen. Die Äcker zählen, die Kerosinspuren der Himmelsmaschinen, die Schmetterlingsleichen. Ich will im Sommer laufen, wenn das Getreide noch nicht geerntet ist, das Stroh noch Halme heißt und die Ähren den Wind schaukeln. Ich werd an manchen Feldern stehen bleiben und die Ähren zählen. An den Ähren die Körner. Ich werde die Zahlen nicht interpretieren. Keine Matrix-Orgien in der Tabellenkalkulation organisieren. Meinen Rechner habe ich nur dabei, um Bilder zu fantasieren, Musik zu komponieren, an besonderen Orten Texte schreiben. Von unterwegs Gedichte zu bloggen, mein Bücher zu lesen.

Viele Bücher werde ich auf meinem Rechner speichern, um sie den Apfelbäumen vorzulesen, den Birnen, den Tabakfeldern. Den Menschen, die mir zuhören wollen. Es ist schön Bücher vorzulesen. Manchmal wünschte ich genügend eigene geschrieben zu haben, um sie den Leuten vorlesen zu können. Sie könnten sie sogar kaufen und auf ihren Datenträgern mit nach Hause nehmen, ich kann ja keine Druckerei auf die Felder schleppen, den Wegen entlang schleifen. Vorlesen will ich, weil die Menschen nicht mehr selber lesen wollen. Ich werde einfach lesen, ob sie mir zuhören oder nicht. Listig werde ich sein und überall erzählen, wenn ich wieder einmal gefragt werde, ob ich ein Penner sei, weil ich nur laufe und nicht rase, ich werde nicht sagen, dass ich aus Büchern lese oder nur Texte, die noch nie gedruckt waren, keinem Verlag gehören, nur mir, zum Worte verschenken, Sätze verfüttern, Absätze in Gläser fülle. Ich werde in ihre Herzen Bilder intrigieren, den ganz Jungen erklären ich würde live podcasten, den älteren stecken, ich würde live Hörbücher vorführen, spontan, mit meiner eigene Stimme, ohne Verstärkung und das im Gehen, im Laufen, in der Bewegung.

Wegweiser werde ich mir basteln und vor mich hinstellen mit Ortsnamen, die mir gefallen. Nein, nicht die von berühmte Städten, sondern Orte, die nur ich kenne. Neu-Schwanz, Brusthausen, Muttermund, Hodenstadt, Erektiona, Orgashausen. Ich werde die Schilder aufstellen und wieder zurücklaufen, soweit, dass ich sie nicht mehr sehen kann und mich dann freuen, wenn ich sie sehe, ihren Wegweisungen folgen, denn nicht der Weg ist das Ziel, sonder das Ziel liegt am Weg. Eigentlich führen alle Wege zu einem Ziel, man muss sie nur gehen, die Wege.