Gegenkanzler

Bonn, Rheinkilometer 642-644. Eine wunderherrliche Strecke zu Fuß am Rhein an einem Samstag morgen. Die Sonne straft den November Lügen, ich lustwandle zwischen den Joggern den Ufern entlang, keine Industrie, kein Hafen, keine Liegestühle, keine Cafés am Rhein. Wäre wohl für die Kanzler des deutschen Herbstes zu gefährlich gewesen. Bonn, Hauptstadt in den Fronten des kalten Krieges geboren, beherrscht von einem Kölner, wie seit Jahrhunderten, Hauptstadt einer halbierten Republik. Verspottet, verlacht und doch der Aufgabe gerecht geworden. Nein, Strauss und Wehner und Barzel machten keine bessere Politik, auch wenn ihr Alpha-Männchen Gehabe unterhaltsamer anzusehen war und scheinbar authentischer sich gebärdete. Nein, gewiss nicht. Mir wäre auch Frankfurt als Hauptstadt lieber gewesen, wäre es immer noch. Ich will hier nichts verklären, am wenigsten Bonn. Die Bönnschen. Eine wenig aufregende, wenn auch liebenswerte Großstadt.
Aber als ich so meine Lust wandelte, da am Rheine, am verlassenen Kanzleramt vorbei, beginnt sich etwas zu regen. Ob es lokale Einflüsse auf globale Politik gib?
Dann wäre mir eine Stadt, die einst Bonnae hieß und von zwei mätyrisierten Legionären patroniert wird, samt Kerze vom Stadtrad vor dem Schrein, lieber, als die Millionenstadt im Osten, aus Preußens Glanz und Gloria geboren. Das putzige alte Rathaus, das romanische Münster, an einem Fluss, der schweizer, österreichisches, französisches und deutsches Wasser in die Niederlande in den Atlantik trägt, lieber als der Protzdom in Berlin, die Siegessäule, das brandenburgische Tor Nr #1.
Ein Parlament, das in einem alten Wasserwerk tagte, von einer provisorischen Hauptstadt zur Verfügung gestellt, ist mir sympathischer als der Reichstag mit all seinem Bombast.
Die luftig-rheinische Leichtigkeit des Seins, der barocke Umgang anstatt die protestantische Schwermut, die immer noch nach der Einheit von Thron und Altar sucht, unterschwellig.
Aber wie gesagt, vorbei ist vorbei, die Herrscherin aus der Uckermark rüstet für eine 3. Amtszeit von spezialdemokratischen Gnaden und baut an Achsen von Paris nach Berlin. Nein, von einer Achse Bonn-Paris hätte keiner geschrieben, nein.
Und während ich so sinne am Rheine, frage ich mich, warum wir nicht einen Gegenkanzler wählen, für Bonn, mit zughörigem Parlament. Der Narr, die Närrin, die Narren, die Spiegel vorhalten, nein, kein Karneval. Einfach Narren, die träumen, Wünsche formulieren, Alternativen leben, die der „ohne- Alternativen- Republik“ lachende Andersdinge entlocken. Die Gegenkanzler im Westen, machtlos, achtlos und doch bohrend, lästig und einfach da. Ein Parlament, das nur nachts im Schlafanzug tagt, flüstert, twittert, in dem sich Liebende auch küssen dürfen und beleidigte Leberwürste nicht gegessen werden.
So was hätte ich gerne, dort am Rhein. Würde sonst nirgend so gut passen. Aber ich fürchte, die Schneckenpost, dort zum Konzern erhoben wird den Rhein für sich alleine haben wollen, ich fürchte, dass wir weiter Spreeblick und Preußens Gloria ertragen müssen.
Aber träumen darf man ja. Gegenkanzler, ach. Wir würden auch gern sure le Pont d’Avignon …..