Heute schon Wäsche aufgehängt? Nein, nicht das Fähnlein in den Wind, wie immer. Richtig, Wäsche gewaschen und zum Trocknen aufgehängt!
Heute ist der 31.12.2012 in der Bundesstadt Bonn und dies ist die heiligste Raunacht! Da darf man keine Wäsche waschen oder gar aufhängen! Kann man nachlesen, goggelt es gefälligst selbst! RAUNACHT! Nein, das hat nichts mit den Mayas zu tun oder anderen exotischen Volksmassen. Das ist von hier! Um Euch herum. In Salzburg wandeln sie sogar umher deswegen. Denn wenn ihr doch habt und ihr habt, wenigstens potenziell, dann wehe Euch! Wehe! Denn, wenn ihr gegen die Gesetze der Raunacht verstoßen habt, dann kommt Euch die wilde Jagd holen. Kann man auch wikipädieren.
Die wilde Jagd. Tausende von Geistern. Ermordete Seelen, gefallene Seelen. Angeführt vom Schimmelreiter und der Frau Holle. Sie reiten seit Tausenden von Jahren in den Wolken vom Sturmwind gepeitscht, erschrecken die Piloten von RainerAir und Konsorten, saufen die Kondensstreifen der Erzengel und Boing-Boings. Keine ist sicher vor ihnen, keiner.
Ich sehe Euer Grinsen, das überhebliche Lächeln. Gefasel, dümmliche Folklore, rechts-populistische. Wir doch nicht.
Ach? Unser germanisch-keltisches Erbe (wir haben Anspruch auf beides!) hat nix mit den Nazis zu tun. Das ist archaisch, damit kamen wir Indogermanen zu den Kelten hier. Das ist großes Kino. Die Edda, die Nibelungen. Die Raunächte, die wilde Jagd?
Ihr Kleingläubigen! Heute Nacht werdet ihr Unsummen an Tonnen von Schießpulver in die Luft jagen. Lichter in das Schwarz jagen, noch vor Kurzem habt ihr alles illuminiert und bekerzt, was das Zeug hält, sogar in die Kirchen seid ihr gerannt, obwohl Euch aller Glaube fehlt. Geister der Dunkelheit wollt ihr vertreiben, die Tag und Nachtgleiche feiern, weil bald wieder das Licht bis in die grillsten Nachtstunden von der Sonne kommt. Die Geister verrasseln, laut schießen, damit sie Euch nichts tun. Die wilde Jagd.
Die wilde Jagd gibt es nicht, hat es nie gegeben? Kommt mit!
Bonn. Bertha von Suttern Platz. Die Suttern kann nichts dafür. Die lassen wir raus. Der Platz heißt halt so. Ein hässlicher Platz, wie es solche an den Rändern deutscher Fußgängerzonen überall gibt. Beton, Straßenbahnhaltestelle, als ob es die Moskauer Metro wäre, McDonalds, Dönnerbuden und der Durchgangsverkehr zur Kennedybrücke und sonst wohin. Ampeln. Hupen. Blaulicht. Es rauscht unentwegt, bremst, rauscht weiter. Motoren brüllen, aus den Lautsprecher wummern die Beats, hämmern in Hirne und immer weiter geht die Fahrt. Busse 529, 600, 601, in 2 Minuten in 5 Minuten, die 61, die 66. Straßenbahnen quietschen. Immer weiter immer schneller, wir jagen dahin, verbrennen das Öl der frühen Tage.
Studien, Studien. Burn-out, Burn-out. Wir brennen, wir brennen. Es brennt in uns, das Feuer nach Geld, nach Ruhm. Die Sehnsucht nach Ruhe treibt uns in entfernteste Winkel. Mein Buch „Entschleunigung“, kauft es kauft es, ich brauch Geld, Geld, Geld. Ein Workshop, ein Workshop in Kontemplation. Bucht, bucht, bucht. Ich brauch’ Geld. Ich jage Geld, ich jage Euch, ich jage meinem Herzschlag nach. Es wummert, es brummt. Die Beats der späten Jahre ersaufen im Techno, das Adagio schon längst gestorben, nur der Blues nährt sich manchmal davon, die Depressionen, weil wir nichts mehr festhalten können.
Ihr sagt, ihr kennt sie nicht, die wilde Jagd? Nur weil keiner mehr auf Straßen reitet? Weil der Schimmelreiter in der Schule zerlesen wird und die Frau Holle von Disney verkitscht, in Watte in dämlichen Märchenhäusern der deutschen Weihnachtstempel sitzt und „kauft, kauft, kauft“ schreit?
Es donnert Raketen, die kleinen heute nur. Die wilde Jagd zu vertreiben.
Es ist Raunacht. In Bonn. 2012 auf 2013.
Diesen Text gibt es bis Mai in einer Sonderausgabe der Literaturzeitschrift Wortschau, präsentiert auch von den Autoren bei der Mainzer Minipressen-Messe. Siehe hier.