Was ich zur Spätlese #45 im Mannheimer Theater Felina-Areal beitrug. Das war insgesamt eine gute Lesebühne, mit vielen neuen Autor*innen und breitgestreute Themen und Stile.
In diesen Zeiten wollte ich eigentlich meine pseudobarocken Vanitasgedichte vortragen. Triefnäsig. Ihr wisst schon …
Statt dessen versank ich anders in mir. Reflektiere mich selbst als Opa und kommentiere unwichtige Dinge, die wichtigen dokumentieren andere tag-täglich. Ich präsentiere einen Text aus 1987 zu dem „Fake-News“-Singspiel „Gesülze im Mondschein“ und wundere mich über das Wisssenschaftsprogramm eines großen TV-Senders.
KI, oh AI, oh Kommunikation!
Zwei Mails. Im Betreff KI und AI. Opa Werner war auf einmal hell wach. Das waren Schlüsselwörter. Von seinem Vater eingepflanzt.
Er handelte sofort. Also beinahe sofort. Erst musste er in die Gänge kommen. Dauerte immer länger. Leichtes Knie-Beugen, Rückenschulungskram. Waschen. Anziehen. Alles nicht so einfach. Egal, es war noch dunkel draußen. Die dritte Kerze brannte ja schon.
Bald würden sie wieder mit dem Weihnachtsraclette nerven, wie jedes verdammte Jahr. Auf dem Wohnzimmertisch stand Tannenzweigleinsgedöns, aus dem Garten drunten, vegan geschnitten, selbstverständlich. Bald kommen die Kinderlein lammetieren, bekugeln und das Stroh versternchen, bis keine Nadel mehr zu sehen ist, egal, ob er es hasste. Sie würden sogar EiEiEi-Lieder singen. Können selbst in dieser Nacht nicht still sein. Opa Werner sinnierte. Da fiel es ihm wieder ein. KI – AI.
Er musste zu diesem Loch in der Scheunenmauer, nachsehen, ob der Dienst sich schon gemeldet hätte. Tote Briefkästen. Eine Telefonzelle suchen.
Der Iwan hatte etwas vor. Er musste es melden, falls sie es nicht gemerkt haben. Ein Zettel in die Mauer stecken.
Ganz klar das Schlüsselwort: KI. Die Kommunistische Internationale, die Komintern ist reaktiviert. Stalin hatte sie 1941 nur eingeschläfert. Nun entstand sie neu, im Silikon-Wäldchen, ähm, Silicium-alley. Drüben, bei den Amis halt, wo der Apfel nicht weit fällt. Versteht ihr? AI, Artificial Intelligent, ist verballhornt für CIA. Intelligente Agentur. Die Komintern hat bestimmt schon alles unterminiert, ist in sie migriert, hat ausspioniert.
Opa Werner suchte noch seinen Mantel. Hans-Werner, sein Enkel kam und befragte ihn. Wo er denn hin wolle. „Zur Scheune, ich muss das Loch finden, in der Mauer.“
„Opa“, Hans Werner augenrollte, ob dem Getrolle. „Eine Telefonzelle suchen, hast du wieder dein Smartphone verloren?“ „Telefonhäuschen kann man nicht abhören, ich muss bei der CIA anrufen, wegen der Komintern, der KI.“
Hans-Werner erklärte geduldig, dass KI ein Kommunikationsmittel wäre, oder so ähnlich. „Kommunion, genau.“ Opa Werner Werner war begeistert.
„Also die Scheune wurde doch schon vor Urzeiten abgerissen, da hat Onkel Jean gebaut und das Telefonhäuschen in der Mozartstraße ist jetzt ein Öffentlicher Bücherschrank.
Zeig mal die Mails her. „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht alle möglichen Newsletter bestellen? Denkst du nie an Datenschutz? Weg damit, abbestellt.“ Hans-Werner blickte zufrieden beim Abschied, sang leise Servus. „Bis zum heiligen Abend.“
Opa Werner würde wieder Newsletter bestellen. Sonst schrieb ihm ja niemand. Er wollte nicht whatsappen, da mäkelte Tante Ida immer herum, wollte ihn zu den Quacksalbern schicken oder ins Fitness-Studio.
Aber Datenschmutz hat schon was, stimmt. Er musste wieder einmal seine alten Rechner entstauben. Das DOS aufmotzen. DOS 5.0 müsste es jetzt sein.
Opa Werner holte die alten Kompatiblen aus dem Schrank und öffnete die Gehäuse. Tatsächlich: Staub, Staub, Staub. Elender Datenschmutz überall. Er holte den Laubbläser und begann den Datenschmutz wegzublasen. Überall hin, mit Getöse. Eine graue Wolke breitete sich aus, legte sich auf die Tannennadeln, als ob es schmutziger Schnee wäre. Ob das reicht? Opa Werner holte seine elektrische Feile und hobelte in den Gehäusen herum, über diese kleinen, kurzen Stäbchen hinweg. Ein güldener Staub hing in der Luft, legte sich über alles, auch zwischen den grauen Staub, über dem Tännlein fein. Opa wütete jetzt all dem Datenschmutz entgegen, riss die kleinen Igelchen heraus und warf sie über das Grüngenadel. Sah eigentlich besser aus als all die Küglein und LED-Blinkelein.
Die Mädchen würden begeistert sein. Es war ein Datenschmutz-Bäumchen geworden.
Leise rieseln die Daten, ihrem Schmutz entronnen, weit in die Welt hinein.
Ach Datenschutz hieß es wohl. Opa Werner kicherte. Aber so war es besser, legte den Laubbläser weg. Datenschutz sagte er und zeigte es der Witwe Bolte von nebenan, von der KI, der Schmutz. Sie küsste ihn. Auf den Mund. Opa Werner war verdattert und dachte, das müsse er melden, aber küsste zurück und dachte: „Wenn wir nicht gestorben sind……“
Firnisheimer
Aus: „Gesülze im Mondschein“. Eine Lokalposse mit Musik von Michael Bauer und Rainer Emese. Uraufführung Oktober 1987 von und mit Amateuren in Viernheim, zweiter Akt.
Sensationelle Theorien eines Heimatforschers.
Im Heimatmuseum wurde ein Brief-Fragment gefunden. Die Orts- und Teile der Weltgeschichte werden neu geschrieben werden müssen.
Entgegen aller andersartig lautenden Theorien über die Entstehung, des Ortsnamens scheint festzustehen, dass sich sich der Name Viernheim von Firnis-Heim ableitet. Hatten doch unsere Altvorderen die Gewohnheit, alljährlich genau zu bestimmen,welcher Bauer die dicksten Kartoffeln geerntet, und wer die zweit-, dritt- und-so-weitergrößten hatte. In einem geheimen Ritual wurden die Säcke, in denen die Wettbewerbskartoffeln zur Jury gelangten, in einen Firnis getaucht getaucht, den eine ortsansässige Malerdynastie bereitstellte.
Aus diesem, nun gestärkten Sackleinen fertigten findige Viernheimer Hüte, proportional zur Größe ihrer geernteten Kartoffeln. Für die Herren wurden große, hohe, ihre männliche Größe unterstreichende und für die Damen zierliche, breite, für die liebliche Weißheit der Haut sorgende Hüte kreiert. Alle Welt nannte diese Hüte „Firnisheimer“. Aus diesen hohen Sack-Hüten entstand durch die vielen Auswanderungen weltweit die Mode der Herren-Zylinder. Aber, wie dem Leben so spielt, vergaßen die Viernheimer den ursprünglichen Sinn ihres Ortsnamen.
…..
Im Rahmen des Heimatabends „Gesülze im Mondschein“ des hier ansässigen „Heimat-Hotels“ gelangen diese Kreationen einer neuen „Viernheimer Tracht“ zur Aufführung und ggfs, zum Verkauf.
Für das aufsichtführende Kulturamt
gez. Mohrrübe, Kulturwart
Siegfriedsyndrom
Dramatische Musik. Wagner. Ein Stummfilm. Drachen fliegen umher. Schnitt. Stille.
Der allwissende Professor, in allen Wissenschaften bewandert, spricht in die Kamera, wie so oft.
„Ins Kreuz langen. Kratzen an der Stelle, die wir alle kaum erreichen. Kennen sie das? Dieses ominöse Gejucke, ohne jeden Grund? Das sogenannte Siegfried-Syndrom. Dort wo ein Lindenblatt eine vollkommene Unverwundbarkeit nach einem Blutbad von Siegfried verhinderte. Ein Bad im Drachenblut. Eine Legende nur.“
„Wirklich? Bei den Abräumarbeiten am gesprengten Kühlturm des AKW Biblis -ganz in der Nähe von Nibelungen-Worms- vermeinten Arbeiter winzige Reptilien zu sehen, wie sie in den Rhein wuselten und flogen. Sofort eingeleitete Untersuchungen brachten keine Ergebnisse. Leider stach jemand*in die Sache an die Sensationspresse durch. Titel tanzten in roten Lettern.“
„Drachen in Biblis?“. „War Siegfried radioaktiv verstrahlt?“ „Ist das Nibelungenlied nur eine verdeckte Saga eine uralten Atomkatastrophe?
Kratzte sich schon Ramses an den Schultern? Drachen bei den Pyramiden?“
Dramatische Musik. Wagner. Ein Stummfilm. Drachen fliegen umher.
Verschwommen eingezoomt das Gesicht des Allwissenden Profs, der sich am Bart kratzt. „Alles nur Unfug? Oder steckt mehr dahinter?“
Aus dem Off eine Stimme, Logo der TV-Anstalt des halböffentlichen Rechts.
Sonntag um 04:45. Und in der Mediathek, samt TV-Zero und Warte, auf Ewig,
„Gaya Y.“ Bleiben Sie dran.