Leicht angepasst aus “Dezemberliebe” Mit Pisa, Lesekompetenz, Partizipation und den Qualen eines Nikolaus. Aus 2003!.
Michael Bauer
Ich werde alt. Das bedeutet übrigens in den wenigsten Fällen auch weise, wie der geneigte Leser bald sehen wird. Die Angst vor dem ersten wirklich langen Samstag und dem Nikolaustag trieb Ferdl, Judith, Conny und mich in die Kneipe. Die Pflümli waren gut und das Bier und alles war gut, keine Schatten, nur Lachen und Weihnachten war gut und fern. Bis heute Morgen. Mein Kopf war schwer und die Zunge lahm.
Ich wankte also mehr in den Markt als ich denn lief. In voller Montur holte ich einen Sessel aus dem Büro und setzte mich in die Bastelabteilung und schon ging der Tanz los. Tausende von Kinder wollten vom Nikolaus begrüßt werden. Millionen. Man könnte meinen es gäbe nur noch Kinder. »Macht es eigentlich keiner mehr auch so«, dachte ich, als meine Kollegin Christine von der Bastelei sich beschwerte, dass sie viel zu viel Papier zugeteilt bekommen hätte. »Hä«, fragte ich, »ja und?” »Zum hier basteln-spielen. Wenn ich wieder zu viel zurückgebe, dann bin ich meinen Job los.«
Christine ist eigentlich Pädagogin und jobbt sich ein paar Kröten hier zusammen. Und dann synapsten die letzten übrig gebliebenen Zellen in mir und ich gedachte EINMAL einen geruhsamen Nikolaustag zu haben. Ich wandte den Trick aller faulen Kinderbetreuer an und ließ sie sich selbst unterhalten.
Alle Kleinen durften (bis 12 Jahren nur in Begleitung einer Mama, Väter zählen da nicht) nach Vorzeigen eines Kassenzettels über 10 € (nicht älter als 1 Stunde) mit Christine ein Nikolauskostüm basteln und für 5 Minuten auf meinem Stuhl sitzen und andere Kinder freundlich begrüßen oder sie anherrschen brav zu sein oder sonst was.
Die Nikolausolierung in Selbstverwaltung, ich war mal 6 Wochen bei den spezialdemokratischen Jusos, Ho Ho, gelle, nahm sofort Formen an, die Gixy-Pfotto-Leute kamen sofort dazu und die Fotoabteilung schickte ihre Azubi zum snapchatten her, samt Tablet und Eierphone.
Sie heißt Babsi, aber dafür kann sie ja nix. Christine und Babsi liefen dann zu Höchstform auf und ließen die Kleinen ihre Speeches sogar aufschreiben und korrigierten sie. Sie können wohl nicht anders, liegt in der Natur von Sprachlern. Auf jeden Fall war jede Menge los, den Muttis kamen die Tränen, die herbeigerufenen Opas schwärmten wie einst bei den Vietnamdemos aus, mit Camcordern bewaffnet und ich startete einen Wettbewerb für das beste Kostüm und als »Anti-Pisa« getunt einen »Speechwettbewerb« und im Halbsuff drohte ich sogar damit das alles zu drucken in einer Art Weihnachts-Anthologie.
Ja und dann kam er. Unser aller Personalchef, zusammen mit unserem aufgelösten Marktleiter. Der zerrte mich in die Ecke und schrie leise-heiser etwas von »unwürdigem Karneval, Abmahnung, Faulheit und menschlicher Enttäuschung«. Die Enttäuschung war zu viel und ich vergaß meine Loyalität, die ich normalerweise immer intus habe. »Das ist der Dank für innovative Kundenmotivation, kreative Umsatzförderung«. HR-Cheffe fielen die Augen aus, als er die Kassenzettel sah, die ich ihm vor die Füße warf.
»Die privatwirtschaftliche Förderung der pisa-gebeutelten Kids in den Kernkompetenzfächern wird von bürokratischen subalternen Schreibtischfuzzis abgeblockt«. Die Presse kam, ich liebe die Presse. Drt HR-Chef grinste mich an, zwinkerte mir zu, setzte die Presse in wohlgesetzten Worten, druckreif sag ich nur, druckreif, über die neue Kampagne von Fegidia in Kenntnis, zur Förderung der Kreativität der bildenden Künste bei Kindern unter Einbeziehung der Neuen Medien, wie Apps und Smartphones, in Interaktivität mit den literarischen Fähigkeiten, schwadronierte etwas über die positive Verstärkung der Lesekompetenz durch Einbeziehung von alten Mythen, wie dem Weihnachtsmann und so weiter.
Alle waren baff, der Markleiter ein Idiot, ich ein schief grinsender Held. Mr. HR winkte mir und Judith freundlich zu und dann war der Spuk vorbei.
Der Marktleiter eilte von dannen, Christine und Babsi hatten gar nicht mitbekommen, was eigentlich jetzt los war, die Kinder machten weiter und weitere 6 Stunden weiter brauch ich jetzt 1 Tablette und mein Bett. Judith deckt mich zu, küsst meine verkaterte Stirn und betont sie sei stolz auf mich und der echte Nikolaus wäre dies auch. Ich werde morgen darüber nachdenken, Gute Nacht.