Das Mannheimer Geräuschorchster #1
SZENISCHES KONZERT FREI NACH EDGAR ALLAN POES »DIE MASKE DES ROTEN TODES« – URAUFFÜHRUNG VON UND MIT 100 MANNHEIMER BÜRGERN
Künstlerische Leitung Anselm Dalferth / Johannes Gaudet Video Thilo David Heins. 20.3.2015 20:00
Meine Wiederannäherung an die Welt des Theaters geht weiter. Die Bürgerbühne(n) gilt es zu erforschen. Aufmerksame Mitleser hier kennen das schon. Zwischenzeitlich mutierte ich ja zum Mouseclicker und Teile meiner Wanderung finden sich im Theaterblog. Es gab also Workshops hier und hier, ich besuchte einen Spielklub und eine Produktion der Mannheimer Bürgerbühne. Überall traf man dabei Menschen, die einem geheimnisvollen Geräuschorchester angehören. Gedanklich schlich ich um dieses Phänomen. Die Opernsparte des Parsifaltempels holte gewöhnliches Volk auf die Bühne des Opernhauses, wo sonst Walküren und Aidas toben? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Amateure in der Oper?
Gestern eröffnete nun dieses Geräuschorchester das 2. Mannheimer Bürgerbühnenfestival. (Über dieses wird hier in den nächsten Tag noch zu berichten sein.) Die schon bekannten Gesichter des Orchesters fanden sich wohl verteilt und ja. Das war ein Nackenverrenkstück. Überall waren sie die Bürger. Auf der Bühne die Elektroniker, die Loops in den Opernhimmel schickten, in den Logen Menschen mit allerlei Instrumenten, kaum zu erkennen. Von hinten klang es, als ob die Oper demonstrieren wolle, dass die 3D Sache ja schon sehr lange ein alter Hut ist. Nimm das Hollywood. Im Orchestergraben natürlich. Muss man gesehen haben. Der Trailer des NTM gibt das nur schwach weiter, weil das auf Video nicht geht.
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Irgendwann kam dann Uwe Topmann auf die Bühne. Vom Schnawwl, dem Kinder- und Jugendtheater. Man mixed da so einiges in Mannheim. Mühelos füllt er mit seiner Bühnenpräsenz das große, fast ausverkaufte Haus. Er spielt eine Horrorstory von E.A. Poe. „Die Maske des roten Todes“. Kann man hier nachlesen, wir netzen hier ja.
Wie die Bürger ist er überall, flüstert, schreit, erzählt, filmt in den Orchestergraben, verschwindet, erscheint auf einer Loge, liest von weit oben im Gestühl. Scheinbar überall, natürlich mit Bühnennebel eingedampft. Zum Schluss eine Flugnummer quer durchs das Haus. Jeder Kletterwaldbesitzer wäre neidisch.
Und wie sag ich das nun. Es gibt überhaupt nicht so viele Verben um die Geräusche zu beschreiben, die fein abgestimmt auf die Grundstimmung des Textes auf den Besucher prasseln. Hätte ich es nicht gesehen, nur gehört, ich hätte behauptet, dass ein abgefahrener DJ oder ein neuer Musiker seine Computer bis zu den Maximalen gequält hätte. Aber nein, es waren Glasharfen, Papier, allerlei Krachinstrumente, natürlich auch der Klassiker Kochtopf. Aber bitte, das war nicht einfach Krach. Das war schon Musik. Durchkomponiert, finalinszeniert, mit zwei Dirigenten! Immer aus den 4 Seiten des Theatersaals kommend, zum Finale auch vom hochgefahrenen Orchestergraben. Eine Orgie aus Tönen, Stimmen und Licht, als ob ein leibhaftiger Stummfilmstar von der Leinwand ins Theater gesprungen wäre und das Publikum hyperorchestrierte. Der amüsierte Zuschauer dreht seinen Kopf im Kreis, genießt, wirbelt geistig mit, zwangsläufig in Augenkontakt mit den Sitznachbarn von West bis Süd; fast erwartet man, jetzt käme gleich die Stimme aus dem Off, sagte das nächste Level an, als säße man an der heimischen Spielekonsole.
Und dann denkt man das Crescendo des Erzählers wäre nicht mehr zu steigern, wenn die Bürger auf der Bühne liegen, dahingerafft vom roten Tod. Aber dort oben hängen die Großbleche, als ob sie frisch von den Schmieden der Industriegiganten eingeflogen wären und ja, das Marketing des NTM schüttelte mit, wir Mouseclicker waren ganz stolz! Aber dann kam der Musikchef, aufgehängt im Bergsteigersitz und wurde vom Bühnenpersonal gegen das Obergroßblech geschleudert, als Gehängter die Totentrommel mit dem ganzen Körper beackernd.
Das war ganz vorzügliches Musiktheater, doch. Könnt ihr ruhig noch ein paar Mal spielen! Ich käme!