Claudia Reinhardt
.
No Place Like Home
18,00 € (36,00 SFr)
ISBN : 3-935843-62-3
Verbrecherverlag Berlin 2005
Ein Buch hat mich angerührt. Nicht gerührt, nein. Keine Rührung. Es hat etwas angerührt. Claudia Reinhardt schreibt über ihre Kindheit, ihr langsames erwachsen werden, fotografiert die Straßen und Häuser ihrer Kindheit in der Stadt in der ich auch geboren wurde und mit Unterbrechungen noch immer lebe. Claudia ist zwölf Jahre jünger als ich und doch kenne ich auch den Mief, den sie beschreibt, das geborgen sein, das wegrennen wollen. Sie ist gegangen, ich bin geblieben. Macht in den Erinnerungen nur einen graduellen Unterschied aus, lässt wahrscheinlich die Damaligkeiten schärfer werden, nichts wird überlagert in den tausendmal begangenen Straßen und Orten.
Ich kenne die Personen, die da beschrieben werden, Claudia selbst habe ich schon getroffen, ohne sie zu kennen. Aber das sind nur zwei Augenblicke lang Verstörungen,
die das Lokalkalorit immer auslöst. Vielleicht auch, weil ich selbst im Augenblick auf der literarischen Suche nach Viernheim bin. In mir selbst und extern. Das Thema schien mir eigentlich abgeschlossen, wie man hier auch hören kann. „Selbs Betrug“ von Schlink liegt noch gerade gelesen auf dem Schreibtisch und nächsten Monat werde ich im Kunsthaus lesen gegenüber der düsteren Kirche aus Claudias Buch unter dem Titel „Heimspiel“. Scheinbar stellt sich diese Frage aber immer wieder, so auch Claudia, man verzeihe mir den Ausflug ins Selbst.
Da versucht jemand die Irritationen, die das Wort Heimat wohl in jedem Deutschen auslöst, zu glätten, zu verarbeiten mit Erinnerungen, die zwar meine eigenen tangieren, aber nicht meine sind. Geografisch ist exakt die gleiche Heimat beschrieben und doch ist es nicht dieselbe. Wie sollte es auch. Ist es doch auch ein gutes Stück frauliches Buch. So distanziert die Bilder sind, menschenleer in gekonnt unverkünstelter Sichtweise, bar aller „Künstlichkeit“, wie sie Hochglanz-PR oft befördert, so dicht in der Erinnerung befangen, fast liebevoll, ist die Sprache(, auch wenn es eine Übersetzung scheint). Eigentlich fehlen die Bilder der Straßen, der Dinge, der Sichten, wie sie einmal waren. Es sind die Bilder einer erwachsenen Künstlerin, die erst durch die Sprache leuchten, die Tristesse des Plots verstärken. Aber diese Sprache, die so gar nicht anklagt, scheinbar mühelos längst verschüttetes in ein ganz kleines Lächeln schreibt klingt nach und aus sich heraus. Die Irritationen, die das Wort Heimat, so oft missbraucht, wie unsere Sprache, manche Menschen in diesem Land, Länder, die Menschen dieser Sprache missbrauchten, trudeln durchs Hirn beim Lesen, die Irritationen. Die Diskrepanz zwischen Bild und Sprache, die genau diese deutsche Irritation um Heimat und Gemütlichkeit einfängt ist das eigentliche Kunstwerk. Ich habe schon lange nichts mehr betrachtet-gelesen, das so dicht an der Definition von Heimat liegt, wie das Gesamtkunstwerk dieses Buches. Vielleicht weil doch ein Stück von mir mitschwingt. Schließlich gehe ich wie oft am Kriegerdenkmal vorbei, ohne es zu sehen. Vielleicht deswegen, oder doch „nur“ weil es ein gutes Buch ist? Guckt selbst.